Interview mit Barbara Schaeffer, Geschäftsführerin Molestina Architekten und Prof. Juan Pablo Molestina, Gründungsgesellschafter Molestina Architekten, Köln

Barbara Schaeffer ist in Leverkusen geboren (1962). Nach einem kurzen Einblick in die Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik an der Universität in Mainz studierte sie Architektur in Köln. In den 90er Jahren lebte und arbeitete sie für mehr als 2 Jahre in Paris. Seit 2007 ist Barbara Schaeffer als Architektin und Geschäftsführerin für Molestina Architekten tätig. Darüber hinaus unterrichtet sie seit 2007 als Lehrbeauftragte für Gebäudelehre und Entwerfen an der Universität Siegen. Zu den wichtigsten Projekten gehören das Pfarrzentrum in Hilden, diverse Wohnungsbauten in Köln und ein Verwaltungsneubau als Headquarter für ein Pharmaunternehmen in Iserlohn.

Prof. Juan Pablo Molestina ist in Quito, Ecuador geboren (1955). Er studierte Architektur an der Yale University in New Haven (USA) und am MIT in Cambridge (USA). Zudem arbeitete er bei Dr. Hassan Fathy in Ägypten. Seit 2001 ist er Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der PBSA (HSD) in Düsseldorf und seit 2010 auch Dekan. In 2018 wurde er Direktor des neuen Civic Design Programms (M.Sc. in Arch.). Als Gründungsgesellschafter von Molestina Architekten mit dem Büro in Köln ist er in den Bereichen Architektur und Städteplanung tätig. Zu den wichtigsten Projekten zählen der Masterplan für Ruhr Uni Bochum (2010), Neuer Campus Mülheim a.d. Ruhr (2010), Kö-Bogen II, Düsseldorf (2009) und die Siedlung Ossendorf in Köln (Genossenschaftswohnen – Gesamtfertigstellung in 2022).

1. Wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern in diesen schwierigen Zeiten? Wie meistern Sie die Situation in Ihrem Büro?

Molestina Architekten: Wir haben Teile unseres Teams früh nach Hause geschickt und auf Home-Office umgestellt. Allerdings sind wir in der Architektur auf die direkte Kommunikation angewiesen, so dass immer einzelne Teams tage- oder stundenweise ins Büro kommen, was insgesamt sehr gut läuft. Glücklicherweise hatten und haben wir unter den Mitarbeitern und deren nahem Umfeld keine Infizierten. Unsere Planungen und Projekte laufen ununterbrochen weiter. Es gab lediglich bei einem Projekt einen Versuch, wegen Corona Termine nach hinten zu verschieben, was aber von Auftraggeberseite abgelehnt wurde, da nur mit konkreten nachgewiesenen Ausfällen eine Zustimmung erfolgen kann. Es läuft also alles weiter wie bisher, was uns sehr freut. Wir finden allerdings die beiden Gegenpole, die wir derzeit erleben, schwer zu vereinbaren: einerseits das Runterfahren und die fast angenehme Stille, andererseits die Ungewissheit, was für Konsequenzen die Krise mittelfristig für uns haben wird.

2. Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach Ihre mittel- und langfristigen Auftragslage verändern?

Molestina Architekten:Im Moment lässt sich das noch schwer einschätzen, da wir nicht wissen, wie lange die Pandemie uns begleiten wird. Man kann schon eine allgemeine Verunsicherung über die Dauer und Intensität der Pandemie feststellen, was die Frage aufwirft, ob ein Paradigmenwechsel durch die ständige Gefahr dieser und anderer Pandemien in unseren Lebens- und Arbeitsgewohnheiten eintreten wird, wovor zum Beispiel die Gates Foundation warnt. Diese Verunsicherung führt zur Vorsicht, auch bei Investoren, was die Lage der Architekten empfindlich treffen könnte. Es wird vermutlich die eine oder andere Verschiebung von Projekten geben, aber wir sind hier flexibel und akquirieren verstärkt z.B. über Teilnahmen an Wettbewerbsverfahren. Daher sind wir zurzeit vorsichtig optimistisch, was unsere mittel- und langfristige Auftragslage betrifft.

Falls die Krise langfristig besteht, hätten wir eine Situation wie Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als sich die Städte auch wegen der Hygiene von Grund auf neu konzipieren mussten, was auch radikal neue Wohnmodelle mit sich zog. Sollte die Krise also ein Dauerzustand werden, müssen wir grundsätzlich über die Stadtmorphologie nachdenken.

3. Krisen bieten auch Chancen, vieles zu überdenken und einen Perspektivwechsel einzuleiten. Welche Chancen sehen Sie in der Krise für die Branche?

Molestina Architekten: Die Chance liegt sicherlich in dem Zwang, sich dem Digitalisierungsrückstand zu stellen. Wir haben seit ca. zwanzig Jahren Instrumente für digitales Arbeiten, die aus verschiedensten Gründen nicht ausreichend genutzt wurden. Jetzt sind wir überraschend in eine Notsituation geraten und sind alle gezwungen, mit den digitalen Instrumenten zurecht zu kommen. Und dies funktioniert erstaunlich gut. Wir haben uns binnen kürzester Zeit umgestellt und erleben dadurch neue Arbeitsabläufe und mehr produktive Arbeitszeit durch den Entfall von Fahrzeiten. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass alle Absprachen ‚im persönlichen Gespräch‘ getroffen werden müssen. Das Arbeiten in Deutschland ähnelt durch die Krise stärker an das Arbeiten in anderen Ländern, wo Telefon und Videokonferenzen schon länger eine breite Akzeptanz genießen. Eine weitere Chance sehen wir in dem Überdenken des ,Leben in der Stadt‘, speziell des ,Wohnen in der Stadt‘. Warum soll man Wohnen und Arbeiten in der Stadt nicht viel stärker miteinander kombinieren? Und Umgekehrt: kann man nicht das Wohnen in der Peripherie städtischer machen durch die digitale Vernetzung? Die gegenseitige Vernetzung von Innenstadtwohnen und Wohnen in der Periphärie ist seit der Pandemie viel stärker geworden. Die Vorteile, die das Landleben bietet (das Wohnen im Grünen), sollten wir jetzt stärker in die Stadt einbringen und sie 02 INTERVIEW MIT BARBARA SCHAEFFER UND PROFESSOR PABLO MOLESTINA transformieren. Schon vor der Pandemie haben wir über Klimaschutz und Klimawandel im städtischen Kontext gesprochen. Wie können wir das Leben in unseren Städten anders und besser gestalten? Mit mehr Rückzugsraum und Naturangeboten? Dies ist natürlich eine weitreichende Frage, die nicht nur Architekten und Stadtplaner beschäftigt. Wir haben nun aber die Chance zu reflektieren und anders zu handeln. Die Pandemie hat einen Ruck in unserer Gesellschaft ausgelöst und diesen können wir uns alle zunutze machen. Falls die Krise langfristig besteht, hätten wir eine Situation wie Ende des neunzehnten Jahrhunderts, als sich die Städte auch wegen der Hygiene von Grund auf neu konzipieren mussten, was auch radikal neue Wohnmodelle mit sich zog. Sollte die Krise also ein Dauerzustand werden, müssen wir grundsätzlich über die Stadtmorphologie nachdenken.

4. Sie plädieren dafür, die Vorteile des Lebens auf dem Land in die Stadt zu transportieren. Wie soll das konkret funktionieren?

Molestina Architekten:Dieser Widerspruch löst sich sehr schnell auf, wenn man nicht mehr nur die individuelle Wohnung, sondern die Wohnungen innerhalb eines Quartiers betrachtet. Die Menschen kauften aus Kostengründen bislang häufig nur die Fläche, die sie unbedingt brauchten und diese beinhaltete in der Regel keinen Arbeitsraum oder keinen zusätzlichen Raum, in dem man neue Funktionen hätte unterbringen können. Wir müssen uns lösen von dem Muster der Investoren, jede Wohnung als eine Einheit zu betrachten, die dann auch so – losgelöst von der unmittelbaren Umgebung – verkauft wird. Wir müssen das Gesamtquartier und die Nachbarschaften betrachten und mit einbeziehen und kollektive Arbeits- und Rückzugsorte für alle schaffen. Im übrigem, alle sprechen von Dichte in der Stadt. Die Flächendichte in vielen Städte in Deutschland ist derzeit kaum höher als vor dem zweiten Weltkrieg, auch wenn die Städte grösser geworden sind. Das heißt, wir haben in Bezug auf die Dichte unserer Städte noch „Luft nach oben“. Studenten an der Hochschule Düsseldorf haben sich mit dem Thema beschäftigt, und deren Arbeiten zeigen, wie zehntausende neuer Wohnungen unter Anwendung städtischer Leer- oder wenig genutzter Flächen entstehen könnten.

Wir müssen uns lösen von dem Muster der Investoren, jede Wohnung als eine Einheit zu betrachten, die dann auch so – losgelöst von der unmittelbaren Umgebung - verkauft wird. Wir müssen das Gesamtquartier und die Nachbarschaften betrachten und mit einbeziehen und kollektive Arbeits- und Rückzugsorte für alle schaffen.

5. Im Falle weiterer Pandemien mit Ausgangsbeschränkungen und Abstandshaltungen würde das Kollektive aber doch auch nicht funktionieren?

Molestina Architekten: Die Tendenz zu einer „Shared Economy“ ermöglicht, dass auch Menschen mit weniger finanziellen Mitteln eine gute Qualität des Wohnens haben. Diese Tendenz wird sich verstärken. Interessant zum Beispiel ist bei Mehrfamilienhäusern die Frage nach der Nutzung der Erdgeschosse. Wir könnten sie anheben und könnten somit Tiefparterren schaffen, die sich als Flächen für kollektive Nutzungen anbieten. Man könnte in ihnen Aufenthalts- und Arbeitsräume einrichten, die dann von allen Bewohner frequentiert werden können. Es geht um das Schaffen von kleinen, übersichtlichen Einheiten als Gemeinschaftsräume, die auch in Krisenzeiten mit entsprechender Organisation von allen genutzt werden können und unter anderen auch das Homeoffice für diejenigen begünstigen, die keinen Raum dafür in der eigenen Wohnung haben. Das Gemeinschaftliche steigert das Zugehörigkeitsgefühl, sie stärkt das Miteinander und damit auch die Nachbarschaftshilfe, wie sie auf dem Land üblicher ist.

6. Der Großteil der Grundrisse unserer Wohnungen stammt aus dem Funktionalismus und der ist vor hundert Jahren entstanden und entspricht heute nicht mehr dem Bedarf der Gesellschaft. Hätten wir den Wohnungsbau nicht längst revolutionieren müssen?

Molestina Architekten: Unbedingt. Es gibt in der Physik den Begriff des katalytischen Moments, in dem etwas kippt. Dann wechselt ein Element von einem Zustand in einem völlig neuen. Einen solchen Moment erleben wir vielleicht zurzeit. Nicht, weil wir grundsätzlich neue Erkenntnisse gewonnen haben, sondern weil die Wünsche, anders zu wohnen und anders zu leben, endlich an das Tageslicht kommen. Man denke beispielsweise an die Auswirkungen der Pandemie auf die Mobilität und dadurch auf unsere Städte. Dadurch, dass zunehmend mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten werden, sinkt die Anzahl der Berufspendler und reduziert den Verkehr in den Straßen. Dies bewirkt womöglich mehr Fläche für Fahrradwege, breitere Bürgersteige, mehr Grünflächen durch die Reduzierung von Fahrspuren um Raum für Baumpflanzungen zu schaffen. Auf einmal gibt es jetzt in Mailand, einer Stadt, die sich immer mit der Verkehrsberuhigung schwer tat, wegen der Pandemie viele reine Fußgängerstraßen um die nötigen Abstandsregeln zu erfüllen. Die Pandemie gleicht einer Evolution in der Natur, in der sich die Spezies nicht sukzessive Stück für Stück verändert haben, sondern plötzlich, wie durch den Einschlag eines Meteoriten auf die Erde, eine ganz neue Welt beginnt.

Die Tendenz zu einer “Shared Economy““ ermöglicht, dass auch Menschen mit weniger finanziellen Mitteln eine gute Qualität des Wohnens haben. Diese Tendenz wird sich verstärken.

Barbara Schaeffer
Molestina Architekten

ZUM KOMPLETTEN INTERVIEW

Molestina Architekten

Die Pandemie verstärkt Trends, die bereits im Anlauf sind, und zwingt die Gesellschaft dazu, das dass, was früher als experimentell, neuartig und fremd gesehen wurde, auf einmal zu einer neuen Normalität wird. Die Pandemie ist das ‚new Normal‘.Da Wohnen vorwiegend im Bestand stattfindet, könnte die Nachfrage nach Arbeitsflächen im Bestand zu kommunitären ‚shared workrooms‘ führen. Die unliebsamen Tiefparterren und die oft schwierigen EG-Flächen in der Stadt können neben Krippen, Kindergruppen, Werkstätten auch als hauseigene Arbeitsräume genutzt werden.Die Dichte in einer Stadt wird zu Zeiten der Pandemie auf den Prüfstand gestellt, das Bedürfnis nach Luft und Raum, welches im ländlichen Umfeld gegeben ist, drängt sich auf. Eine zukünftige Aufgabe wird sein, die Vorteile des Lebens auf dem Land in die Stadt zu bringen.

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