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Interview mit Professor Eckhard Gerber, Inhaber Gerber Architekten

Der Architekt und Hochschullehrer Eckhard Gerber begann nach dem Architekturstudium an der Technischen Hochschule Braunschweig 1966 seine selbständige Tätigkeit mit dem Büro „Werkgemeinschaft 66“. 1979 gründete er in Dortmund das Büro Gerber Architekten. Eckhard Gerber erhielt Rufe an die Universität Essen und an die Bergische Universität Wuppertal. Es folgten Gastprofessuren am Harbin Institute of Technology und an der Dalian University of Technology School of Architecture and Fine Art in China. Eckhard Gerber ist Mitglied im BDA und im Deutschen Werkbund wie auch regelmäßig Juryvorsitzender bei nationalen und internationalen Wettbewerben, Sprecher bei nationalen und internationalen Konferenzen, ausgezeichnet mit über 80 Architekturpreisen und über 450 Wettbewerbserfolgen.

1. Wie geht es Ihnen persönlich in diesen Zeiten? Welche Gedanken bewegen Sie als Privatperson und als Unternehmer?

Prof. Eckhard Gerber: Mir geht es persönlich und gesundheitlich wunderbar. Und in unserem Büro geht es auch allen gut. Was Corona anbetrifft, haben wir bisher wirtschaftlich nichts zu spüren bekommen, es haben sich bislang keine Projekte verzögert. Alle Baustellen laufen auf vollen Touren weiter. Was sich verzögert und nach hinten geschoben wird, das sind Wettbewerbsentscheidungen, also Wettbewerbstermine und Entscheidungen der Preisrichter. Aber das ist auch das Einzige, was wir bisher festgestellt haben. Mittelfristig wird sich Corona und die durch diese Krise ausgelöste wirtschaftliche Situation sicherlich auch beim Bauen auswirken, aber zeitverzögert. Das Geld wird für andere notwendige Dinge eingesetzt werden müssen als für das Bauen, zum Beispiel für die durch Corona besonders gebeutelten Branchen. Wir müssen also damit rechnen, dass wir mittelfristig, also etwa in einem halben bis dreiviertel Jahr, einen sinkenden Auftragsbestand haben werden. Wir müssen uns darauf einstellen, längerfristig mit Corona leben zu müssen, es wird langfristig um­fangreiche Änderungen in vielen Bereichen geben, die auch uns im Bauen betreffen. Wie lange die Krise anhalten wird, wissen wir nicht, es ist die Frage eines Impfstoffes. Ich kann mir vorstellen, dass, auch wenn diese Krankheit durch einen Impfstoff besiegt wurde, wieder andere Viren lauern und uns überfallen.

2. Viele beobachten einen Wertewandel in der Gesellschaft. Können Sie diesen bejahen? Und wie wirkt sich dieser womöglich auf das Interesse der Gesellschaft für Architektur aus?

Prof. Eckhard Gerber: Das Interesse an Architektur äußert sich zu allererst in dem Bedürfnis nach gebauten Räumlichkeiten, die den Wohnungsbau vordergründig betreffen. Wir müssen uns mehr Raum geben, als es bisher der Fall war. Im Grunde genommen müssen wir wieder auf alte Strukturen und auf alte Bauweisen zurückkommen. Ich denke beispielsweise an die lichten Höhen unserer gegenwärtigen Wohnräume, die alle auf zwei Meter fünfzig minimiert sind, das Nötigste, was man gerade haben muss. Unsere alten Gebäude hingegen haben alle eine lichte Höhe von drei Meter fünfzig bis vier Meter. Dadurch haben diese Räume natürlich wesentlich mehr Luft und sind viel gesünder als unsere neuen modernen Wohnungen. Bezüglich des von Ihnen angesprochenen Wertewandels werden die Corona-Abstandsregeln das Miteinander der Menschen verändern. Der Wert zu leben und gesund zu sein, den wir bisher als selbstverständlich angesehen haben, wird in ein neues Bewusstsein übergehen. Wir werden uns bewusst darüber freuen, in einer hoffentlich immer gesunden Welt leben zu dürfen. Das wird sich natürlich auch auf das Bauen niederschlagen, auch in den Wünschen unserer Bauherrschaften, seien es die öffentlichen oder privaten. Das Zusammensein innerhalb kleiner Gruppen, sei es die Familie oder der Freundeskreis, wird sicherlich im Bewusstsein wertvoller und auch intensiver werden, das häusliche Leben wird eine größere Intensität haben und das ständige Herumreisen und das Hetzen von einem zum anderen Termin wird in dieser Weise langfristig sicherlich auch nicht mehr so stattfinden. Wir werden mehr am Ort sein und weniger in der Welt rumfliegen und rumfahren. Ich vermute, die Menschen werden dadurch etwas ruhiger und sesshafter. Wir werden uns entschleunigen.

Das Interesse an Architektur äußert sich zu allererst in dem Bedürfnis nach gebauten Räumlichkeiten, die den Wohnungsbau vordergründig betreffen. Wir müssen uns mehr Raum geben, als es bisher der Fall war. Im Grunde genommen müssen wir wieder auf alte Strukturen und auf alte Bauweisen zurückkommen.

3. Corona beschleunigt längst vorhandene Trends. Um welche Trends handelt es sich aus Ihrer Sicht?

Prof. Eckhard Gerber: Ein großer Trend zielt auf das immer größer werdende Bewusstsein in Bezug auf den Umgang mit unserer Welt, die Frage nach neuen Energien und die Frage nach der Wichtigkeit der Flora und Fauna. Der Energieverbrauch ist durch Corona wesentlich reduziert worden, die Natur hat sich erholt und die Luft ist besser. Dieses Bewusstsein für unsere Welt wird sich ganz bestimmt stark dynamisieren und zu Veränderungen führen. Wir müssen z. B. über eine intensive Begrünung unserer Städte nachdenken, dass beispielsweise Blumenwiesen auf den Dächern wachsen, damit unsere Insekten Nahrung haben. Ich glaube, die Grundeinstellung zu der Notwendigkeit dieser Dinge wird sich auch im Politischen ändern und ebenso das Denken unserer Bauherrschaft beeinflussen. Insofern sehe ich die Krise auch als Chance. Aber auch eine energetische Verbesserung der Gebäude und des Kleinklimas der Stadt trägt zum Schutz unseres Planeten bei.

4. Sie rechnen damit, dass Ihre Auftragslage in Deutschland mittelfristig sinken wird. Bereitet Ihnen das persönlich Sorgen in Bezug auf Ihr Büro?

Prof. Eckhard Gerber: Die Verläufe von Corona erfolgten international zeitlich versetzt, begonnen hat es ja in China. Unsere Planungsmöglichkeiten in China sind in der nahen Zukunft besser, weil dort die Wirtschaft jetzt schon wieder anläuft. Da wir international arbeiten, haben wir die Möglichkeit, eventuell sinkende Auftragslagen in Deutschland durch ausländische Projekte auszugleichen und aufzufangen. Insofern mache ich mir keine Sorgen. In den vergangenen Jahren hatten wir immer Schwierigkeiten, gute Mitarbeiter zu bekommen, um unser Büro weiter aufzubauen und weiter zu entwickeln. Diese Situation wird sich jetzt ändern, weil weniger Planungsarbeit in Deutschland stattfinden wird und somit wieder mehr gute Mitarbeiter zur Verfügung stehen.

Wir müssen im Wohnungsbau nicht immer alles neu erfinden. Wir hatten bis auf die heute besseren sanitären Einrichtungen in den alten Häusern vor hundert Jahren wunderbare Wohnungen, in denen die Menschen auch heute noch viel lieber wohnen als in einem sozialen Wohnungsbau.

5. Welche Auswirkung wird die Krise Ihrer Einschätzung nach auf die verschiedenen Bautypologien wie den Wohnungsbau, den Bürobau und auf Kulturbauten haben?

Prof. Eckhard Gerber: Die Auswirkungen werden bei den einzelnen Bautypologien und Baubereichen unterschiedlich sein. Wenn wir auf den Wohnungsbau schauen, müssen wir davon ausgehen, dass die Arbeit im Homeoffice zunehmen wird. Das bedeutet natürlich, dass sie nicht in einer siebzig oder achtzig Quadratmeter-Wohnung stattfinden kann, sondern dass die Mitarbeiter einen Raum in der Wohnung haben müssen, der ihnen alleine zum Arbeiten zur Verfügung steht. Die Gesamtwohnfläche wird sich dadurch langfristig sicherlich vergrößern und die Grundrissstruktur der Wohnungen ändern. Corona hat auch den Wunsch erhöht, mehr im Freibereich leben zu können. Dieser Wunsch wird zu größeren Freiflächen, also großzügigeren Terrassen, führen, auf denen man mehr oder weniger draußen wohnen kann. Ich denke, dass die auch schon vorher angesprochene Normallichthöhe von zwei Meter fünfzig für einen Wohnraum aufgebrochen wird, sodass wir zu Räumen mit größeren lichten Höhen mit drei Meter bis drei Meter fünfzig oder sogar vier Meter kommen. In Bezug auf den Bürobau fanden in letzter Zeit Diskussionen um die Bürofläche pro Mitarbeiter statt, also wieviel Fläche man den Mitarbeitern zuordnen möchte. Und in dieser Diskussion spielte die Bedeutung des Home-Offices eine wichtige Rolle, eine Frage, die uns auch schon vor Corona beschäftigt hat, nur erfährt sie jetzt eine Beschleunigung. Ich vermute, dass wir auch im Bürobau mehr Fläche pro Mitarbeiter haben werden, damit wir die notwendigen Abstände gewährleisten können, z. B. für spätere Infektionspandemien. Auch die Frage der besseren Trennung der Mitarbeiter wird gestellt, Flure werden beispielsweise zukünftig wesentlich größer dimensioniert werden müssen. Wir bauen zurzeit ein Projekt mit der Forderung von Seiten der Bauherrenschaft, den Flur mit rechts und links liegenden Lehrräumen nicht breiter als ein Meter fünfzig zu planen. In so einem Flur kann der Mindestabstand - wenn sich zwei Menschen begegnen - nicht eingehalten werden. Wir müssen zurück zu den breiteren Fluren der alten Gebäude. Die Gesamtgrundrisse werden sich für mehr Offenheit innerhalb des Büros ändern, auch von der Zuordnung eines Mitarbeiters zu einem bestimmten Arbeitsplatz werden wir uns zunehmend verabschieden. Wie gesagt, alle Trends gab es bereits, sie erfahren jetzt nur eine Beschleunigung. Bezüglich der Kulturbauten wissen wir derzeit noch am wenigsten, wie sie sich entwickeln werden. Es ist so bedauerlich, dass kulturelle Veranstaltungen zurzeit ausschließlich ohne Publikum im Netz stattfinden oder in den „Einzelzellen“ der Autos im Autokino. Ich hoffe sehr, dass analoge kulturelle Ereignisse bald wieder organisiert werden können. Die Gebäude im kulturellen Bereich werden wir wohl auch z.T. neu denken, z.B. bedeuten größere Veranstaltungsräume mit weniger Menschen andere akustische Verhältnisse eines Raumes. Oder, größere Abstände erfordern größere Foyers in Theatern oder Konzerthallen, Foyers, die schon immer zu klein dimensioniert waren.

6. Viele Bürogebäude, Einkaufszentren, Postzentren werden leer stehen und bieten sich zur Umnutzung an. Ist Corona eine Chance für den Architekten, sein Berufsbild neu zu positionieren? Denn jetzt sind neue Konzepte gefragt und der Architekt ist immer noch der kreative Kopf im Prozess?

Prof. Eckhard Gerber: Ich habe um den Berufsstand der Architekten und um unsere Arbeit - auch langfristig betrachtet - überhaupt keine Sorge, weil die Menschen immer wieder neue Architektur wünschen und erleben möchten. Über Jahrhunderte war es so und es wird auch in Zukunft so bleiben. Natürlich haben sich die an uns gestellten Anforderungen und dadurch unsere Arbeitsweise stetig verändert. Immer, wenn von außen besondere Einflüsse und Veränderungen kommen, verändern sich auch die Anforderungen an uns. Denken Sie an die vielen neuen Materialien, die eine völlig andere Architektur ermöglichen und heute an das wachsende Bewusstsein der Gesamtnachhaltigkeit. Corona ist auch ein Einfluss von außen, die konkreten Auswirkungen können wir noch nicht einschätzen. Es werden sich aber sicherlich frühere Strukturen und Konstellationen auflösen und damit verändern, z.B. im Wohnungsbau, im Bürobau, im Krankenhausbau oder im Schulbau. Durch Veränderungen müssen Dinge neu gebaut oder umstrukturiert werden, was zu neuen Bauleistungen und neuen Beauftragungen für uns Architekten führt. Insofern werden wir Architekten immer Arbeit haben und neue Konzepte entwickeln. Und ich meine nicht nur sichtbare, bauliche Konzepte, sondern auch die inhaltlichen, also das Entwickeln neuer, innerer, funktionaler Strukturen wie sicherlich im Klinikbereich. Es kam und kommt immer wieder Neues auf uns zu, das ist das Spannende und Interessante an unserem Beruf.

Die Frage nach dem Wohnungsbau der Zukunft und der Organisation des Wohnungsbauens insgesamt ist auch eine sozialpolitische Frage. Die Problematik bezahlbarer Wohnungen wurde schon lange vor Corona diskutiert. Für mich gibt es eine Möglichkeit, diesen Problemen zu begegnen und zwar durch das Verstärken des Wohnungsbauens durch Genossenschaften.

Professor Eckhard Gerber
Gerber Architekten

ZUM KOMPLETTEN INTERVIEW

Gerber Architekten

Mit über 50 Jahren Expertise verfügt Gerber Architekten über langjährige Erfahrung und Kompetenz. An den Bürostandorten Dortmund, Hamburg, Berlin, Riad und Shanghai arbeiten heute rund 180 Mitarbeiter in Projektteams aus Architekten, Ingenieuren, Innenarchitekten sowie Stadt- und Landschaftsplanern. Die Aufgabenbereiche erstrecken sich über alle Themen des Bauens, von Büro- und Hochhausbauten sowie Bauten für die Wissenschaft und Lehre, die Kunst und Kultur, Labor- und Forschungsbauten bis hin zu Wohnungs- und Verkehrsbauten. Durch die intensive Kommunikation mit den Bauherren entwickeln wir gemeinsame Ziele, auf deren Basis spannende und qualitative Entwürfe entstehen, die wir effizient, nachhaltig und kostengünstig realisieren.

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