© Stefan Pielow

Interview mit Moritz Auer, geschäftsführender Gesellschafter Auer Weber

Moritz Auer (*1964, Stuttgart) ist einer der fünf geschäftsführenden Gesellschafter von Auer Weber. Für Moritz Auer und sein Team ist die gemeinsame Leitlinie aller Projekte, die architektonische Gestalt aus der jeweiligen Aufgabenstellung und den Bedingungen des Ortes unverwechselbar, schlüssig und nachvollziehbar zu entwickeln. Sein aktueller Fokus liegt auf den Erfordernissen, die eine mobile Gesellschaft an die Planung des urbanen Raumes stellt: Unter anderem betreut er das Projekt für den Neubau des Münchner Hauptbahnhofs. Er ist Mitglied in den Gestaltungsbeiräten der Stadt Freising und der Flughafen München Gesellschaft. 2017 lehrte er an der Münster School of Architecture; 2018 war er Gastprofessor im Masterstudiengang an der Hochschule Biberach

1. Wie entwickeln sich Ihre Projekte seit Corona?

Moritz Auer: Wir haben das Glück, sehr stabil laufende Projekte zu haben, weil wir viel für die öffentliche Hand planen, zum Beispiel Schulen im Rahmen des Schulbauprogramms der Stadt München. Das sind Projekte mit sehr hoher Priorität, die man auch nicht stoppen kann, denn schließlich wird es auch nach der Pandemie nicht weniger Schüler geben. Wir hatten anfänglich befürchtet, dass es auf den Baustellen zu einem Komplett-Shutdown kommen wird. Das ist aber nicht geschehen. Das heißt, die Schulprojekte sind mit Hochdruck weitergelaufen. Es wird ja viel davon geredet, was sich alles ändern wird, dass wir in den Gebäuden neue Distanzregeln einhalten müssen und so weiter. Auch die Zukunftsforscher prognostizieren große Veränderungen in allen Bereichen. Ich bin diesbezüglich skeptisch, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Auch vorherige Krisen in der Geschichte haben gezeigt, dass die Menschen doch relativ schnell in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Jetzt, wo die akute Gefahr - zumindest in Europa oder Deutschland - zurückgegangen ist, merkt man, dass Vieles wieder in die gewohnten und ausgetretenen Pfade zurückspringt. Man geht doch schnell wieder zur gewohnten Tagesordnung über. In Bezug auf unsere sich in der Planung befindlichen Hotel- oder Büroprojekte haben wir bislang keinerlei Signale von Seiten der Bauherrschaft für andere Grundrissgestaltungen oder andere Anforderungen an die Gebäude erhalten. Auch bei Projekten, die sich in der Entwicklung befinden, sind keine anderen Vorgaben oder Einschränkungen oder neue zu beachtende Parameter an uns herangetreten worden.

2. Wie beurteilen Sie die Situation für Ihr Büro in Bezug auf die mittel- und langfristige Auftragslage?

Moritz Auer: Ich vermute, dass uns eine Welle in vier bis sechs Monaten treffen wird, die deutliche Einschläge mit sich bringt. Wir sehen jetzt schon, dass die Büronachfrage einbricht und damit längst nicht mehr so hoch ist wie vor der Krise. Wir haben die Befürchtung, dass wichtige aus den Mitteln der öffentlichen Hand finanzierte Projekte gestoppt werden, wie womöglich das Stadtmuseum in München, für dessen Um- und Neubau wir beauftragt wurden. Der Presse ist zu entnehmen, dass die Stadt München derzeit die Gewerbesteuereinnahmen prüft, um dann zu entscheiden, wie viele Mittel noch für Kulturprojekte zur Verfügung stehen. Das macht uns schon Sorgen, da das Museum ein wichtiges Projekt für uns ist, schließlich plant man ein kommunales Museum so mitten in einer Stadt wie München nicht alle Tage. Und die Frage, die sich ja stellt: Wird es nur verschoben oder wird es komplett auf den Prüfstand gestellt und damit womöglich unsere Planung umgeschmissen oder zurückgestellt. Wenn die Steuereinnahmen in der prognostizierten Größenordnung ausbleiben, bekommen die Kommunen Probleme. Die Krise zeigt also durchaus ihre Auswirkungen und sie kann dazu führen, dass entweder Projekte komplett sterben oder in Bezug auf ihre Nutzung grundlegend neu gedacht werden müssen. Das bewegt uns natürlich auch. Wie lange diese Situation anhalten wird, kann ich nicht abschätzen, da es davon abhängt, wie schnell eine konjunkturelle Erholungsphase verläuft oder ein entsprechender Impfstoff entwickelt wird. Anfänglich dachte man ja, die Krise dauert lediglich einige Wochen oder maximal einige Monate und dann ist das Thema mehr oder weniger überstanden. Aber jetzt sieht es danach aus, dass ein Impfstoff frühestens Mitte nächsten Jahres zugelassen sein wird und angewendet werden kann. Und so lange haben wir eben auch mit entsprechenden Einschränkungen umzugehen. Ich denke, keiner – auch nicht eine Stadt München – kann aus heutiger Sicht voraussagen, wie sich die Entwicklung der Steuereinnahmen darstellen und welche Auswirkungen dies wiederum auf Projekte haben wird. Es kommt ja auch immer auf die Art der Projekte an. Für uns wäre es natürlich dramatisch, wenn eine bestimmte Typologie oder eine bestimmte Nutzung betroffen ist, in der wir womöglich drei Projekte parallel bearbeiten.

Die Krise und der damit verbundene Besuchereinbruch ist eine Katastrophe für die Institutionen, seien es Museen, Theater, Opern- oder Konzerthäuser. Um überhaupt überleben zu können und noch wahrgenommen zu werden, bieten sie viel digital an, also Programme und Produktionen, die man online abrufen kann. Interessant bleibt zu beobachten, wie viele dieser Interessenten, die das digitale Kulturangebot jetzt in Anspruch nehmen, es auch längerfristig als Alternative nutzen. Die Frage, ob Museen mit weniger Frequenz dann überhaupt überleben können, ist natürlich eine durchaus berechtigte.

3. Wir sprachen soeben über das Münchner Stadtmuseum. Kommen wir jemals zu einem gleichen Kulturleben wie vor Corona zurück?

Moritz Auer: Ich bin der guten Hoffnung, dass wir eines Tages wieder zu einem gleichen Kulturleben zurückkehren werden. Die Frage ist nur wann. Die gesamten Kulturbetriebe entwickeln derzeit neue kreative Formate mit maximal fünfzig oder hundert Zuschauern. Das ist aber für mich, zumindest aus heutiger Sicht, kein Dauerzustand, es ist eine Übergangsphase von einem bis anderthalb Jahren. Es wäre auf lange Sicht ja dramatisch, wenn man die gewohnte Dichte an Publikum nicht mehr erzeugen kann. Ich gehe viel in Clubs und kenne verschiedenste Bereiche der Kreativzsene, die ohne diese Dichte überhaupt nicht vorstellbar sind. Das ganze Club- und Veranstaltungsleben hier in München ist derzeit tot, Gleiches hört man von Berlin. Sobald ein Impfstoff gefunden wurde und eine Immunisierung erfolgreich ist, werden wieder Großveranstaltungen stattfinden und auch das kulturelle Leben wieder auf das Niveau wie vor Corona hochfahren.

4. Der Großteil des Kulturangebots hat sich mittlerweile ins Netz verlagert. Können sich viele Kulturbauten in Anbetracht der angespannten wirtschaftlichen Lage überhaupt halten?

Moritz Auer:Die Krise und der damit verbundene Besuchereinbruch ist natürlich eine Katastrophe für die Institutionen, seien es Museen, Theater, Opern- oder Konzerthäuser. Um überhaupt überleben zu können und noch wahrgenommen zu werden, bieten sie viel digital an, also Programme und Produktionen, die man online abrufen kann. Interessant bleibt zu beobachten, wie viele dieser Interessenten, die das digitale Kulturangebot jetzt in Anspruch nehmen, es auch längerfristig als Alternative nutzen. Sicherlich haben viele Menschen die digitale Kulturvermittlung überhaupt erst einmal für sich entdeckt. Und es ist davon auszugehen, dass sie auch zukünftig den einen oder anderen Museums- oder Theaterbesuch durch einen virtuellen Museumsrundgang oder ein virtuelles Theaterspiel ersetzen. Das würde dazu führen, dass Frequenzen nach unten gehen, die für diese Institutionen natürlich notwendig wären. Die Frage, ob Museen mit weniger Frequenz überhaupt überleben können, ist natürlich eine durchaus berechtigte. Prognosen, wie sich das Ganze mittel- und langfristig einpendelt, kann man allerdings aus heutiger Sicht nicht geben. Was das Netzt allerdings nicht bietet, dass ist dieses authentisch Direkte und Unmittelbare, man sitzt halt immer isoliert oder in einer kleinen Gruppe vor dem Bildschirm. Damit ist das Digitale für mich persönlich kein adäquater Ersatz.

Das Museum entwickelt sich somit immer stärker weg von einer statischen Inszenierung zu einerseits baulich fixierten Räumlichkeiten und andererseits zu einer Bespielung dieser Räume mittels wandelbarer Einbauten und medialer Elemente, durch die man sehr spezifisch Informationen für sich abrufen kann. Dieses Mediale und diese Informationsdichte findet man immer öfter in Museumswelten vor.

5. Muss das Museum der Zukunft anders gedacht werden? Schon vor Corona bangten viele Häuser um ihre Existenz!

Moritz Auer: Wir planen das Museum als Raumhülle, die allerdings nicht von der Museumsinszenierung, also von der Szenografie getrennt werden kann. Beim Stadtmuseum in München arbeiten wir mit Atelier Brückner aus Stuttgart zusammen, sehr renommierte Ausstellungsgestalter, die stark inszenieren. Wir überlegen gemeinsam, was ein Münchner Stadtmuseum, das bis heute ja eher ein klassisches Museum im althergebrachten Sinne mit der Ausstellung von Objekten und Alltagsgegenständen ist und so etwas leicht Verstaubtes und eher nach hinten Gewandtes hat, in der Zukunft darbieten muss. Es kann nicht sein, dass sich ein Museum, das die Geschichte der Stadt München zum Thema hat, im Dornröschenschlaf befindet. Wir fragen uns, was man dort auch medial, mit Interaktionen und Rauminszenierungen entwickeln kann. Dabei spielen auch Beiträge eine wichtige Rolle, die mit neuen Medien und der Digitalisierung umgehen. Die Ausstellung reagiert also sehr stark auf den Nutzer und auf seine spezifischen Interessen. Das Angebot und die Mittel sind damit nicht mehr starr, sondern wandelbar, je nachdem, welche Schwerpunktinteressen der jeweilige Besucher hat oder welche Bereiche ihn besonders interessieren. Das Museum entwickelt sich somit immer stärker weg von einer statischen Inszenierung zu einerseits baulich fixierten Räumlichkeiten und andererseits zu einer Bespielung dieser Räume mittels wandelbarer Einbauten und medialer Elemente, durch die man sehr spezifisch Informationen für sich abrufen kann. Dieses Mediale und diese Informationsdichte findet man immer öfter in Museumswelten vor. Es werden Hintergrundinformationen geliefert, die es bisher nicht gab. Somit wird – neben den Ausstellungsgegenständen – eine zweite Ebene der Wissensgenerierung geschaffen. Das Münchner Stadtmuseum kämpft seit Jahren mit geringen Besucherzahlen. Es geht jetzt darum, das Haus auf ein anderes Niveau zu heben und auch den Ort und die Inhalte viel stärker ins Bewusstsein der Stadtgesellschaft zu bringen. Ein Museum dieser Art benötig einen Ort, der eine gewisse Öffentlichkeit hat. Die Frage des Grades der Öffentlichkeit von Museen ist also extrem wichtig. Das war beim Münchner Stadtmuseum auch ein zentrales Problem, da es in einem eher abgeschlossenem Areal liegt, bei dem man nicht so richtig weiß, wo denn der Eingang ist. Bei vielen dieser Institutionen ist der Übergang vom öffentlichen Raum zum eigentlichen Museum problematisch. Dass Gefühl, in ein Museum, eine Institution zu gehen, wirkt wie eine Hemmschwelle und ist für viele potentielle Besucher ein Problem. Wenn man also ein breiteres Publikum über alle Schichten erreichen will, ist es wichtig, eine starke Selbstverständlichkeit in der Annäherung zu bieten. Der Übergang vom öffentlichen zum Museumsraum muss also extrem gut gelöst werden. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Skandinavien, sind diese Schwellen zwischen öffentlichem Bereich und Museum sehr niedrig oder beinahe nicht vorhanden, hier gibt es fließende Übergänge. Und das müssen wir für das Münchner Stadtmuseum auch erreichen.

6. Wie steht es um Ihren Um- und Neubau des Münchner Hauptbahnhofs?

Moritz Auer: Die gesamte Diskussion, auch die politische, hat gezeigt, dass das Thema Infrastruktur – leistungsfähige Infrastruktur, öffentliche Infrastruktur, Verkehrsinfrastruktur – ein großes geworden ist. Und deswegen ist gerade das Thema des Bahnhofes ein absolut aktuelles und zukunftsweisendes. Das Projekt, das sehr lange sehr langsam an Fahrt aufgenommen hat und jetzt tatsächlich ins Rollen kam, ist interessanterweise das Projekt, das ungebrochen stabil läuft und immer mehr an Beschleunigung erfährt. Wir steigen momentan in die Entwurfsplanung für das eigentliche Empfangsgebäude ein. Das Projekt wird auch immer komplexer, da die geplante U9 noch in den Untergrund integriert werden soll. Der Abbruch des Bahnhofs ist mehr oder weniger abgeschlossen, außer der Gleishalle und den sogenannten historischen Flügelbauten. Die Bauarbeiten für die zweite S-Bahn-Stammstrecke sind in vollem Gange und das unterirdische Infrastrukturbauwerk wird immer größer und komplexer. Das Projekt läuft, man geht von einer Fertigstellung in 2030 aus. Das ist eine lange Strecke, was weniger an unserem Hochbaupart liegt, sondern an den hochkomplexen unterirdischen S-Bahn Arbeiten. Es braucht einen Vorlauf von fünf Jahren, bevor wir mit den ersten klassischen Hochbaumaßnahmen beginnen können. Und das heißt, wir hängen mit unserem Projekt voll an diesem Infrastrukturprojekt und hoffen, dass es nicht zu Verzögerungen und Komplikationen kommen wird. Einen Bahnhof in zentraler Lage mitten in der Stadt zu planen und zu bauen, bedeutet eine hohe Verantwortung. Insofern ist das Projekt für uns ein absolut herausragendes, ein wirkliches Schlüsselprojekt, das natürlich auch in seiner Größenordnung und Komplexität einmalig ist.

Wenn man in einem Museum ein breiteres Publikum über alle Schichten erreichen will, ist es wichtig, eine starke Selbstverständlichkeit in der Annäherung zu bieten. Der Übergang vom öffentlichen zum Museumsraum muss also extrem gut gelöst werden. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Skandinavien, sind diese Schwellen zwischen öffentlichem Bereich und Museum sehr niedrig oder beinahe nicht vorhanden, hier gibt es fließende Übergänge. Und das müssen wir für das Münchner Stadtmuseum auch erreichen.

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