© Henning Larsen Sundskolen Schoolyard Sora

Referenz: Von Dipl.-Ing. Ursula Fuss designtes barrierefreies Bad

Interview mit Ursula Fuss, Gründerin und Geschäftsführerin | Ursula Fuss Architekturbüro

Ursula Fuss studierte Architektur an der Fachhochschule Wiesbaden und an der Hochschule der bildenden Künste an der Städelschule in Frankfurt am Main beim renommierten Architekten Peter Cook. Nach Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros gründete sie ihr eigenes Büro in Frankfurt mit dem Schwerpunkt barrierefreies Bauen, ein Thema, dass ihr als Rollstuhlnutzerin naheliegt. Sie entwickelt barrierefreie Gesamtkonzepte mit optimierten und architektonischen Lösungen für unterschiedliche Planungsaufgeben. Neben ihrer selbstständigen Arbeit engagiert sich Ursula Fuss in der Hochschulausbildung: Unter anderem unterrichtete sie von 2009 bis 2014 Barrierefreies Bauen an der TU Darmstadt. Seit 2010 berät sie zahlreiche Hotelmarken, Investoren, Beratungsgesellschaften und weitere zum Thema Barrierefreiheit und Inklusion.

1. Wie beurteilen Sie die seit fast einem Jahr anhaltende Krise, was können und sollten wir aus ihr lernen?

Ursula Fuss: Mit der Krise haben wir alle eine Erfahrung gemacht, die wir immer gerne weggeschoben haben, denn Infektionsherde gab es schon in der Vergangenheit, ob es das SARS oder MERS oder andere waren. Wir haben uns in Europa immer verhältnismäßig sicher gefühlt. Ich kann mich noch an die ersten Nachrichten aus China erinnern, dann fing es in Italien an und danach kam Ischgl. Und noch immer fühlten wir uns unbetroffen und dachten, es ist ja weit von uns entfernt. Keiner hat es für wahr gehalten, dass es wirklich eine Pandemie werden kann und deshalb hat es uns alle überrascht. Ich erinnere mich an einen Termin mit einem Auftraggeber, der mir erzählte, dass Vodafone in Düsseldorf bereits alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt hatte. Auch zu dieser Zeit nahm ich noch nicht wirklich wahr, was da auf uns zukommt. Heute ist es uns längst bewusst geworden, wie sehr wir uns vor Corona an unser tägliches Allerlei gewöhnt hatten, tun und lassen konnten, was immer wir wollten, ohne nach dem warum zu fragen. Erstaunt hat mich, wie die Menschen so reagiert, alles hingenommen und sich an den Lockdown gehalten haben. Ich hoffe, dass Corona ein Umdenken und ein neues Bewusstsein schafft. Bislang hatten wir eine Gesellschaft, die immer weniger wertschätze und die stattdessen mit „immer mehr“, „immer billiger“ und „immer schneller“ auf Quantität setze. Die Krise war bzw. ist insofern ein Auslöser, Vieles zu überdenken und die Bereitschaft zu zeigen, gewohnte Pfade zu verlassen und Dinge einmal anders zu machen, als man es gewohnt war. Und das ist letztlich das, was wir aus der Krise lernen können: Dinge auszuprobieren und auf anderen Wegen als bislang zum Ziel zu kommen. Mehr Besinnung auf das, was wir haben und was wir wirklich brauchen.

In Bezug auf die Zusammenarbeit mit meinen Auftraggebern habe ich mittlerweile gelernt, dass man sie auch mittels Videokonferenzen überzeugen kann. Man entwickelt eine andere Art zu reden und sich zu präsentieren. Meine Hoffnung ist, dass wir bedingt durch die Krise neue Wertschätzungen entwickeln und neue Blickpunkte und Blickwinkel einnehmen. Dies gilt auch für die Architektur.

2. Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Krise auf unsere Baukultur?

Ursula Fuss: Wir hatten in der Vergangenheit eine Baukultur, die das Ziel hatte, kosteneffizient und ökologisch zu sein. Wir haben viele Beispiele von ökologischen Fassadenkonstruktionen, aber letztendlich stand immer die Kostenkontrolle im Vordergrund. Baukultur ist etwas, das schon seit jeher die gesellschaftlichen Entwicklungen widerspiegelte. In der Historie lernen wir aus alten Gebäuden, wie Gesellschaft formiert war, wie Gesellschaft funktionierte und wie sie überhaupt gelebt wurde. Baukultur dokumentiert also die Geschichte der Menschheit, sie ist ein Spiegel der Gesellschaft. Baukultur, die wir heute produzieren, ist etwas, aus der wir in dreihundert Jahren, – sofern sie dann noch steht oder vorhanden oder verfügbar ist – Rückschlüsse ziehen können. Durch die Digitalisierung, die jetzt durch Corona eine enorme Beschleunigung erfährt, wird es in allen Bautypologien sicherlich zu neuen Gedankengängen kommen, welche die Architektur beeinflussen wird.

Noch immer sind die Vorurteile präsent, dass barrierefreie Hotelzimmer unattraktiv und hässlich sind. Meine Konzepte belegen, dass dem überhaupt nicht so ist. Im Gegenteil, die Zimmer werden auch von nicht behinderten Menschen sehr gerne gebucht.

3. Besteht die Hoffnung, dass nach Corona in der Architektur wieder mehr die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden?

Ursula Fuss: Der Architektur hat in der letzten Zeit die Rücksicht auf die Wahrnehmung des Einzelnen gefehlt. Effizienz und Kostenkontrolle standen im Fokus. Ich hoffe, dass die Architektur menschlicher wird und dass wir sie neu überdenken müssen. Wir werden ganz sicher Veränderungen in unseren Wohnsituationen erleben. Das Homeoffice mit dem Büro am Küchentisch kann auf Dauer keine befriedigende Lösung sein. Es wird eine Mischung zwischen Präsenz in der Firma und dem Home-Office geben. Denn der Mensch ist ein Herdentier, er möchte sich treffen, er braucht soziale Kontakte, um überhaupt seine Selbstfindung oder auch seine Meinungsbildung zu entwickeln. Deshalb benötigen wir auch weiterhin Büroflächen, müssen nur mehr Platz anbieten, um zukünftige Pandemien in den Griff zu bekommen, geschweige denn, sie zu vermeiden. In anderen Bautypologien z.B. Wohnen müssen wir von Seiten der Architektur intensiv über die Erschließung nachdenken. Technische Systeme wie Aufzüge können die zukünftigen Anforderungen nicht umfassend lösen. Es muss darüber nachgedacht werden, wie Menschen eine Ebene erreichen, welche sie gemeinsam nutzen wollen. Die Erschließung wird also ein ganz wichtiger Aspekt in der Architektur und kann einen Wandel oder Neukonzeption der Funktionsbereiche initiieren.

4. Sie sind schwerpunktmäßig in der Bautypologie Hotel tätig. Müssen wir das Hotel neu denken? In welche Richtung wird es gehen?

Ursula Fuss:Wir haben in der Hotellerie drei unterschiedliche Strömungen. Zum einen gibt es die bewährten großen Hotelmarken, die klare Anforderungen in ihren Standards haben. Die Zimmerausstattungen sind identisch, unabhängig, ob man sich in Paris, London oder New York aufhält. Dann haben wir die Hotelketten oder Betreiber, die etwas Neues gewagt haben. Das Hotel war immer der Versuchsort bzw. das Experiment, etwas anderes kennenzulernen. Deswegen gehen wir ja letztendlich auf Reisen, ob privat oder geschäftlich. Das konnte man früher sehr schön an den Grandhotels erkennen, die stets sehr pompös waren und dem Gast das Gefühl gaben, ein König oder zumindest etwas Besonderes zu sein. Dann kamen vor einigen Jahren Ideenfinder hinzu, wie zum Beispiel das 25Hours, die das Gewohnte völlig auf den Kopf stellten. Damit trafen sie damals bis heute einen Nerv. Alle durften leger sein, nach dem Motto „come as you are.“ Diese Ausrichtung setze eine unglaubliche Bewegung in der Hotelbranche in Gang. Man schaue nur, wer alles durch die 25Hours Konzeption beeinflusst wurde. Die Hotellerie verlangt von Seiten der Architektur eine sehr wichtige Aufgabe, nämlich Ideen anzubieten, die der Gast auf Zeit ausprobieren kann. Wir werden auch zukünftig flexiblere Hotelkonzepte entwickeln müssen, welche die gesellschaftlichen Lebensweisen reflektieren und die viel mehr Kommunikations- und Gemeinschaftsbereiche anbieten müssen, in denen man sich zufällig treffen kann und die eine Corona bedingte Distanz berücksichtigen.

Der deutschen Hotellerie fehlt meiner Meinung nach die Experimentierfreudigkeit. Viele Betreiber meinen, nichts ändern zu müssen, weil sie scheinbar wissen, was ihre Klientel erwartet. Sie trauen dem Gast nicht zu, mit einer neuen Situation bzw. einem neuen Erlebnis umzugehen. Das ist und bleibt ein großer Fehler, denn der Gast ist viel neugieriger, als wir denken.

5. Was kritisieren Sie an der deutschen Hotellerie?

Ursula Fuss: Meine Erfahrung mit der deutschen Hotellerie ist, dass sie bisher stets genau wusste, was sie braucht. Ich habe durch das Thema Barrierefreiheit einen ganz neuen Aspekt in diese Branche eingebracht, den es vorher so nicht gab. Mein Bestreben ist immer, mit meinen Auftraggebern gemeinsam Konzepte zu entwickeln, von denen sie nachhaltig überzeugt sind. Über meine Ideen in Hinsicht der Barrierefreiheit bekomme ich auch oft Zugang zu anderen Problemstellungen. Und damit sind wir jetzt wieder an der Stelle von vorhin, dass man in einem Hotel Dinge anbieten und ausprobieren sollte, die es vorher noch nicht gab.

Denn erst, wenn man sie real getestet hat, kann man sie auch letztendlich begreifen. In Bezug auf die Barrierefreiheit haben wir zum Glück eine Gesetzgebung in Deutschland, die mit durchschnittlich 10-20 Prozent der Beherbergungsräume/Betten (je nach Bundesland) die Anzahl der barrierefreien Zimmer vorschreibt. Noch immer sind die Vorurteile präsent, dass barrierefreie Zimmer unattraktiv und hässlich sind. Meine Konzepte belegen, dass dem überhaupt nicht so ist. Im Gegenteil, die Zimmer werden auch von nicht behinderten Menschen sehr gerne gebucht. In der PIERDREI in Hamburg habe ich beispielsweise im Bad in der Dusche zwei Duschbänke gegenübergestellt und in der Mitte die Fläche zum Duschen im Stehen geplant. Diese Gestaltung bewirkt ein ganz neues Duscherlebnis, wenn man z.B. zu zweit jeweils auf einer Bank sitzt und sich gemeinsam duschen und entspannen kann. Das hat schon viele Gäste beeindruckt und positiv überrascht. Der deutschen Hotellerie fehlt meiner Meinung nach die Experimentierfreudigkeit.

Viele Betreiber meinen, nichts ändern zu müssen, weil sie scheinbar wissen, was ihre Klientel erwartet. Sie trauen dem Gast nicht zu, mit einer neuen Situation bzw. einem neuen Erlebnis umzugehen. Das ist und bleibt ein großer Fehler, denn der Gast ist viel neugieriger, als wir denken. Das Interessante ist ja auch, dass alles, was im Hotel jemals neu angeboten wurde, meistens früher oder später im Wohnungsbau landete. Schauen wir uns beispielsweise die bodengleichen Duschen an. Das oberste Gebot bleibt natürlich, dass der Gast sich wohlfühlt. Er fühlt sich dann wohl, wenn er sich sicher fühlt. Also irgendwelche Experimente, die den Gast verunsichern, sind nicht gefragt. Abgesehen vom Individualraum Zimmer haben wir natürlich die öffentlichen Räume wie das Schwimmbad, Massagebereiche, Restaurants und die Gastronomie im Allgemeinen. Auch in diesen Flächen muss man die Wahrnehmung des Einzelnen analysieren. Ich erinnere mich an eine Diskussion zum Thema “Wellbeing im Hotel“ in London. Alle sprachen über Gerüche, Musik, Öle und das Essensangebot. Ich habe damals betont, dass es hauptsächlich darum geht, wie ich mich als Gast wahrgenommen fühle. Wenn der Gast seinen Weg suchen und dreißigmal fragen muss, wo es zu der Massageabteilung geht, dann fühlt er sich verunsichert und schon nicht mehr wohl. Oder eine zu steile Rampe bedeutet, dass ich mich als Rollstuhlfahrerin abmühen muss und mich unwohl fühle, weil andere es als eine schwere und hilfsbedürftige Lebensweise wahrnehmen. Obwohl dafür nur eine falsch geplante Erschließung (Rampe) verantwortlich ist. Dieser Aspekt war für viele neu und führte seitens der Teilnehmer zu neugierigen Nachfragen. Grundsätzlich steht die deutsche Hotellerie im internationalen Vergleich gut da, es gibt innovative Ansätze, die auf sich aufmerksam gemacht haben. Man denke an den Ansatz der Designhotels von Claus Sendlinger oder die vorher bereits erwähnten 25 hours Hotels.

6. Glauben Sie, dass das Thema Barrierefreiheit durch Corona ein Thema wird, das toleranter, entspannter oder interessierter angegangen wird?

Ursula Fuss: Ich habe das Glück, dass ich meine Beratungen hauptsächlich über Empfehlungen bekomme, das heißt, das Interesse an meiner Arbeit ist vorhanden. Meine Erfahrung ist, dass die Bereitschaft zu neuen Dingen dann gegeben ist, wenn ich auf die Bedürfnisse aller Beteiligten eingehe, seien es die Auftraggeber oder die Investoren. Sobald ich erkläre, warum ich etwas vorschlage, nicht nur weil es irgendeiner DIN Norm entspricht oder regelkonform ist, sondern weil es von der Funktion her überzeugt, ist die Zustimmung gegeben. Ich vermute also, dass der Barrierefreiheit mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil vielleicht unbewusst durch Corona eine Bereitschaft aufkommt, die ein Umdenken im Persönlichen installiert.

Wir befinden uns in der Hotellerie in einer stetigen Entwicklung. Die Erschließung, die Verbindung und Überlagerung der einzelnen Funktionsbereiche wird elementar wichtig werden. Auch die Flexibilität, zur Umnutzung von Flächen, ist eine wichtige Komponente. Weiterhin die Einrichtung von mehr Kommunikations- und Gemeinschaftsflächen, offene Küchen, in denen sich die Gäste treffen und betätigen können. Natürlich werden sich auch durch die neuen Hygiene- und Abstandsregeln Dinge in den Hotels verändern.

Ursula Fuss
Ursula Fuss Architekturbüro

ZUM KOMPLETTEN INTERVIEW

Ursula Fuss Architekturbüro

Überraschende Architektur kann Vieles ins Rollen bringen. Ansichten, Einsichten und Wahrnehmungen. Nur der individuelle Nutzer entscheidet über Architektur. Architektur macht vieles sichtbar und zeigt die Strukturen, welche der Mensch entwickelt, um diese gesellschaftlich umzusetzen.

Seit jeher hat die Naturwissenschaft mit Ihrer Technik eine stetige Entwicklung der Architektur gefördert. Die Entwicklung wird immer rasanter, könnte man sagen. Kommen dann noch Ereignisse, wie die derzeitige Pandemie dazu, wird die Entwicklung beschleunigt und bindet alle Mitglieder der Gesellschaften auf gleicher Ebene mit ein. Es entsteht eine gemeinsame Bereitschaft zum Nachdenken und das wird Architektur mit all ihren vielseitigen Facetten darstellen.

Inspirationen

Tauchen Sie ein in die Welt von GROHE und lassen Sie sich von unseren Produkten inspirieren.

Referenzen

Von 250 Bowery bis zum Sri Panwa Vichit:
So setzen Top-Architekten GROHE-Produkte in ihren Projekten ein.

Fachbroschüren und Reportagen

Entdecken Sie die Vielfalt der GROHE Welt in unseren Fachbroschüren und Objektreportagen.