© Aldo Amoretti

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Interview mit Much Untertrifaller, Geschäftsführender Gesellschafter Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH

Much Untertrifaller studierte Architektur an der TU Wien. Ab 1982 arbeitete er mit seinem Vater zusammen und markierte 1992 mit dem Silvrettahaus auf der Bielerhöhe einen Wandel im alpinen Bauen. Mitte der 1980er Jahre begann parallel die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Helmut Dietrich, mit dem er 1994, nach dem gewonnenen Wettbewerb für das Festspielhaus Bregenz, ein gemeinsames Büro in Bregenz gründete. Dem Wettbewerbsgewinn für die Erweiterung der Wiener Stadthalle folgte 2004 ein weiterer Standort in Wien. Nach dem Auftrag zum Bau der neuen Hochschulsportanlage der ETH Zürich richteten sie 2005 eine Niederlassung in St. Gallen ein. 2015 wurde das Pariser Büro eröffnet, 2016 folgte München. Er hält regelmäßig Vorträge auf renommierten internationalen Veranstaltungen und lehrt, nach mehreren Gastprofessuren, seit 2016 als Honorarprofessor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz.

1. Ist die Pandemie für Sie eine der größten Herausforderungen Ihrer Berufstätigkeit?

Much Untertrifaller: Nein, die Pandemie war und ist nicht die größte Herausforderung, aber sicherlich eine neue und ungewohnte Problemstellung. Wir mussten über hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an fünf Standorten ins Homeoffice schicken und technisch ausstatten, was letztlich aber binnen weniger Tage reibungslos funktionierte. Wir waren glücklicherweise gut vorbereitet mit digitalem Equipment, die Mitarbeiter haben ihre Computer mit nach Hause genommen und sich von dort aus vernetzt. Bislang haben wir persönlich die Krise glücklicherweise kaum gespürt, weder im öffentlichen noch im privaten Bereich. Einige kleinere Projekte sind zwar zurückgestellt worden, ansonsten hat sich die Auftragslage eher sogar verbessert, denn wir haben sehr viele neue Projektanfragen. Unsere mittel- und langfristige Auftragslage können wir aus heutiger Sicht nicht sicher vorhersagen, das hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Wir rechnen jederzeit damit, einen Standort wieder herunterfahren und die Kolleginnen und Kollegen nach Hause schicken zu müssen, was seit dem ersten großen Lockdown schon zweimal kurzfristig passierte. Dies wird sich vermutlich über den Winter nochmals wiederholen oder häufen. Wir hoffen natürlich, dass wir trotz der Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice nichts oder so gut wie nichts an Effizienz verlieren. Aber auch das ist natürlich schwierig zu beurteilen, denn nicht nur wir, sondern auch die Auftraggeber sind betroffen. Grundsätzlich sind wir aber positiv gestimmt und glauben nicht, dass mittelfristig viele Projekte „on hold“ gestellt werden. Bei uns halten sich Wettbewerbsgewinne und Direktaufträge die Waage. Unter denjenigen, die direkt beauftragen, befinden sich oftmals Stammkunden, für die wir immer wieder arbeiten, seien das Wohnungsbaugesellschaften, private Investoren oder öffentliche Bauherren. Wir haben also einen beachtlichen Grundstock an wiederkehrenden Auftraggebern. Der Markt nimmt wahr, dass wir sorgfältig und seriös arbeiten, die Dinge gut umsetzen und auf den Boden bringen. Wir sind auch dafür bekannt, den gegebenen Kostenrahmen einzuhalten, was durch viele Realisierungen nachgewiesen wurde. Das schafft Vertrauen.

2. Die Krise trägt Dinge zutage, die es vorher schon gab, sie fungiert als Beschleuniger. Was hat sich verändert?

Much Untertrifaller: Man sieht sehr gut, welche Branchen für solche Krisen anfällig sind und in denen neue Überlegungen für die Zukunft getroffen werden müssen. Beispielsweise die gesamte Reisebranche. Meine eigene Reisetätigkeit zum Beispiel schaut heute völlig anders aus als noch vor einem halben Jahr. Man beginnt zu überlegen, ob diese permanenten Ortsveränderungen notwendig sind oder ob sie nicht durch andere Formate ersetzt werden können. Die berufliche Reisetätigkeit wird meines Erachtens auch in der Zukunft reduzierter bleiben. Interessant ist zu beobachten, wie sich die Reiselust im privaten Bereich entwickeln wird, ob sie wieder auf das Niveau wie vor der Krise kommt. In Bezug auf die Baubranche habe ich bis jetzt noch kaum Veränderungen erkennen können. Ausgenommen davon vielleicht die Unsicherheit in den ersten Wochen, in denen man nicht wusste, ob Baustellen eingestellt oder wegen der Abstandsbestimmungen verzögert werden müssen. Das hat sich aber sehr schnell wieder eingependelt. Es gibt jetzt noch leichte Nachwehen, weil einige an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind, aber im großen Ganzen läuft es weiter.

Die Bautypologie Bildungsbau ist seit Jahren ein äußerst spannendes Betätigungsfeld, weil die verkrusteten Raumprogramme der Vergangenheit aufgebrochen wurden und man nicht mehr nur in Klassenräumen und minimierten Erschließungsflächen denkt, sondern über die Qualität dieser Flächen entscheidend zur Stimmung und zu Kommunikationsmöglichkeiten im Gebäude beiträgt.

3. Ein chinesisches Schriftzeichen für Krise besagt, dass eine Krise ein produktiver Zustand und damit auch eine Chance sein kann. Bietet Corona eine Chance für unsere Baukultur?

Much Untertrifaller: Ja, ich dachte zunächst, dass die Krise eine Chance sein könnte, aber mittlerweile bin ich skeptisch geworden, weil ich beobachtet habe, dass nach Lockerungen der vorherige Zustand wieder in Windeseile eingetreten ist. Sei es, dass die Leute im gegenseitigen Umgang nicht achtgeben oder die allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen über Bord schmeißen. Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Krise nachhaltig angekommen ist. Ich würde mir wünschen, dass sich etwas verändert, weil tatsächlich Handlungs- oder Verbesserungsbedarf notwendig wäre. Aber viel mehr als Lippenbekenntnisse habe ich bis jetzt nicht wahrnehmen können. Vielleicht kommt es noch, wenn die Krise länger andauert. Auch im Wohnungsbau habe ich nicht den Eindruck, dass die Nachfrage der Investoren in Richtung neuer Grundrisse mit flexibleren räumlichen Möglichkeiten gestiegen ist, was unabdingbar ist, da aufgrund der ökonomischen Verhältnisse der Wohnraum für den einzelnen knapper wird und darauf sowieso reagiert werden muss. Wir arbeiten bereits seit Jahren an Wohnbau-Modellen, die flexibel sind und sich dem Bedarf der Nutzer anpassen. Ob die Pandemie nun eine Chance ist oder nicht, ist letztlich eine Frage der Länge der Krise und welche Bereiche unseres Lebens oder unserer Wirtschaft sich dauerhaft verändern müssen oder geschädigt sind. Viele gescheite Köpfe haben sich mit den Auswirkungen der Krise beschäftigt, sind jedoch zu keinem Schluss gekommen. Wir benötigen einfach noch Zeit, um die Folgen beurteilen zu können.

4. Die Effizienz der Gebäude, ihre Klassifizierung und ihre Vermarktbarkeit schienen in den letzten Jahren in der Bau- und Immobilienbranche im Vordergrund zu stehen. Eröffnet Corona jetzt möglicherweise die Chance, den Menschen wieder mehr ins Zentrum der architektonischen Überlegungen zu stellen?

Much Untertrifaller:Ich bin mir nicht sicher, ob Corona diese Chance eröffnet, aber sie wäre dringend notwendig. Ich bin schon lange ein Skeptiker dieser Labels, die nur Selbstzweck sind und tatsächlich an vielen Bedürfnissen vorbei operieren. Mein Credo ist schon lange, den Fokus auf intelligentes, vorausschauendes und vor allem umfassendes Planen zu legen, um auf allen Ebenen intelligente Lösungen anzubieten, anstatt irgendwelchen Brands und Auszeichnungen hinterherzuhecheln. Auch Programmierung ist das Gebot der Gegenwart und Zukunft. Unser Berufsstand sollte sich hier deutlich mehr einbringen, als er es momentan tut.

Das gebaute Umfeld kann Verhaltensweisen und Stimmungen entscheidend beeinflussen. In alle Richtungen sollten wir wesentlich kooperativer denken und arbeiten; noch sind das Gegeneinander und das Nachdenken im eigenen stillen Kämmerlein weit verbreitet, weil wir es eben so gelernt haben. Durch neue Formen des miteinander Lernens – beispielsweise in den Schulen – glaube ich aber, dass solche Prozesse im späteren Berufsleben und in der gesamten Gesellschaft ankommen werden. Architektur kann somit auch einen deutlichen Beitrag zur Interdisziplinarität und Teamarbeit beitragen.

5. Sie haben vor einigen Jahren den Wettbewerb für den Neubau des TUM Sportcampus im Olympiapark München gewonnen und befinden sich derzeit am Ende des ersten Bauabschnitts. Was sind die wesentlichen Erfolgskriterien für einen Bildungsbau der Zukunft?

Much Untertrifaller: Der Bildungsbau der Zukunft ist ein Gebäude, das ein Höchstmaß an Kommunikation ermöglichen muss. Diese Bautypologie ist seit Jahren ein äußerst spannendes Betätigungsfeld, weil die verkrusteten Raumprogramme der Vergangenheit aufgebrochen wurden und man nicht mehr nur in Klassenräumen und minimierten Erschließungsflächen denkt, sondern über die Qualität dieser Flächen entscheidend zur Stimmung und zu Kommunikationsmöglichkeiten im Gebäude beiträgt. Diese Veränderungen helfen in Krisenzeiten wie dieser, kleinere Gruppenbildungen zu ermöglichen, um sich dann an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Konstellationen zu treffen. Mich persönlich hat in den letzten Jahren am Bildungsbau so gereizt, dass einerseits alte Strukturen weggebrochen sind und man andererseits noch nicht genau wusste, wo die Reise hinführt. Es hat sich also ein überaus spannendes Experimentierfeld aufgetan. Und das bewährt sich jetzt. Ich bin überzeugt, dass das gebaute Umfeld Verhaltensweisen und Stimmungen entscheidend beeinflussen kann. Es ist zwar nicht messbar, aber von entscheidender Bedeutung. In alle Richtungen sollten wir wesentlich kooperativer denken und arbeiten; noch sind das Gegeneinander und das Nachdenken im eigenen stillen Kämmerlein weit verbreitet, weil wir es eben so gelernt haben. Durch neue Formen des miteinander Lernens – beispielsweise in den Schulen – glaube ich aber, dass solche Prozesse im späteren Berufsleben und in der gesamten Gesellschaft ankommen werden. Architektur kann somit auch einen deutlichen Beitrag zur Interdisziplinarität und Teamarbeit beitragen.

6. Nur ist die Zeit ja jetzt gerade gegenläufig. Viele Menschen werden auch zukünftig verstärkt vom Homeoffice arbeiten. Die meisten der Studierenden erleben die Wissensvermittlung heute digital, das Analoge ist eher untergeordnet. Heißt das nicht, dass die Teamleistung nicht lernbar ist, wenn man sie nicht trainieren kann?

Much Untertrifaller: Wir erleben derzeit eine sehr schwierige Situation, das nehme ich sowohl im Büro als auch an der Hochschule wahr. Das reine Homeoffice kann auf Dauer natürlich nicht funktionieren. Wir werden Wege finden müssen, dass zumindest partiell physische Treffen stattfinden können, vielleicht in anderer Form als vorher, aber notwendig werden sie sein. Wir ermöglichen seit einiger Zeit auch wieder Anwesenheitsunterricht im Kindesund Jugendalter. Ich wüsste nicht, warum das nicht auch im Hochschulbereich funktionieren sollte. Gerade für Studienanfänger ist die Situation in diesem rein virtuellen Umfeld im Moment natürlich katastrophal. Das wird auf Dauer sicher nicht gehen, da wird man sich etwas überlegen müssen. Und das Homeoffice zu hundert Prozent wird auch auf Dauer nicht funktionieren. Aber Teilzeit von Zuhause aus zu arbeiten, dagegen spricht nichts; Voraussetzung dafür ist natürlich eine Absprache im Team.

Was ich oft beklage – mag es zwar geographisch etwas unterschiedlich sein – ist die enorme Lücke zwischen dem ersten Konzept auf städtebaulicher Ebene und der tatsächlichen Umsetzung der Architektur. Das teilweise riesige Betätigungsfeld dazwischen ist leider allzu selten nur adäquat besetzt. In diesem Zwischenbereich findet sehr wenig statt und die Konzepte und Programme, die schlussendlich herauskommen und den Architekten zur Umsetzung vorgesetzt werden, sind zu wenig durchdacht, zu wenig flexibel und zu wenig weitblickend.

Much Untertrifaller
Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT GmbH

ZUM KOMPLETTEN INTERVIEW

Dietrich | Untertrifaller Architekten

Unser 1994 gegründetes Büro wird heute von Helmut Dietrich, Much Untertrifaller, Dominik Philipp und Patrick Stremler geleitet und beschäftigt ein internationales Team von mehr als 110 Architekten, die in Österreich (Bregenz und Wien), der Schweiz (St. Gallen), Frankreich (Paris) und Deutschland (München) arbeiten.

Das breite Spektrum unserer Bauaufgaben reicht von großvolumigen Bauten und städtebaulichen Strukturen über das Bauen im Bestand bis hin zum Einfamilienhaus. Das beugt jeder Spezialisierung vor, hält wach und fordert Kreativität und Forschergeist. So unterschiedlich unsere Bauwerke auch sind, gemeinsam ist ihnen der humanistische Ansatz, die innovative und nachhaltige Ausführung und das einfühlsame Verhältnis zum urbanen Kontext. Ein bestimmender Faktor all unserer Arbeiten ist der ressourcenschonende Einsatz von Materialien, wobei unser besonderes Engagement dem zeitgemäßen Holzbau gilt. Wir haben uns mit unserer Expertise im Entwurf und im Holzbau international einen Namen gemacht und geben dieses Wissen auf internationalen Vorträgen und in der Lehre gerne weiter.

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